Andersartigkeit

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Nehmen wir einmal an, ich würde heute beschließen, ab jetzt nur noch mit diesem Diadem auf dem Kopf herum zu laufen, egal wo und wann. Es gefällt mir ausgesprochen gut, also was spräche dagegen?

Klar, die Leute würden über mich tuscheln “Schau Dir die mit dem Krönchen da an, die hat sie doch nimmer alle”, “Jetzt ist sie komplett übergeschnappt”, “Etwas seltsam war die ja schon immer”. Vermutlich würden mich meine Kollegen sehr bald darauf hin weisen, dass ich das Diadem gerne in meiner Freizeit tragen könnte, aber dass es nicht ins Geschäftsleben passt und ich es unterlassen soll.

Ich würde niemand mit dem Krönchen stören, es sähe nicht irgendwie abschreckend aus, es würde niemand Angst machen, es ist kein religiöses Symbol. Man könnte es als modisches Accessoire bezeichnen, wie etwa Statementketten. Doch die darf ich durchaus tragen, wann es mir beliebt. Anders sähe es womöglich aus, wenn plötzlich alle Frauen das Geschmeide auf dem Kopf tragen würden. Dann wäre es ein gesellschaftlich anerkannter Trend und höchst wahrscheinlich hätte dann auch im Arbeitsumfeld niemand mehr etwas dagegen. Solange ich jedoch alleine auf weiter Flur mit diesem neuen “Trend” wäre, würde ich dafür als etwas exotisches betrachtet werden. Eine, die um jeden Preis auffallen muss.

Wäre es meine “Schuld”, wenn die Leute dann über mich reden würden, hinter mir tuscheln würden, mich für verrückt erklären würden? Hätte ich es herausgefordert? Wenn ich mich dann darüber aufregen würde  dass die Leute mich aufgrund meines Kopfschmucks anders behandeln, mich sogar deswegen mobben würden, bzw. ich mich dafür als Mobbingopfer betrachten würde, wäre das mein Problem? Was dann? Müsste ich es dann abnehmen, damit wieder “Ruhe” wäre und alle “zufrieden” wären? Endlich läuft sie wieder rum wie alle anderen auch, würde es dann vermutlich heißen. Selbstverständlich würde mir noch eine Weile der Beigeschmack der “Diadem Trägerin, die ums Verrecken was Besonderes sein wollte” anhaften. Doch irgendwann würden es die Mitmenschen vergessen oder sich nur noch vage daran erinnern. Ich hätte mich dann in meiner Persönlichkeitsentfaltung eingeschränkt und auf das auffällige, aussergewöhnliche Schmuckstück verzichtet um die anderen zu beruhigen. Doch was ist mit mir? Warum will ich auf Teufel komm raus anders sein wie die anderen, obwohl ich weiss, dass ich damit anecke? Gefalle ich mir in der Opferrolle? Das arme Ding, dass wegen seinem Kopfputz verspottet und belästert wird?  Was kann ich denn dafür, dass ich ein Faible für Tiaras habe. Das ist doch schließlich mein gutes Recht damit herumzustolzieren.

In dem Fall hätte ich zwei Möglichkeiten:

  1. Drauf pfeifen, was den anderen gefällt, was sie reden, tuscheln, mir direkt ins Gesicht sagen würden etc und das Ding hoch erhobenen Hauptes tragen.
  2. Es abnehmen, wenn ich es nicht ertragen kann, dass die “Anderen” tagtäglich darüber reden und nicht müde werden es zu tun.

Das Diadem steht hier nur als Platzhalter für so Vieles. Egal ob eine Helmfrisur, total auffällige und womöglich noch symbolträchtige Tätowierungen, einen gezwirbelten Schnauzbart der mit Lockenwicklern getrimmt wird, rasierte Augenbrauen, Piercings… von religiösen oder politischen “Statements” einmal komplett abgesehen.

Letztes Jahr im April hatte ich mich als vegan Guide gemeldet, bei einer Frau, die per Inserat nach einer Person gesucht hatte, die ihr in der Stadt wo ich wohne vegan-freundliche Lokale zeigt. Die Frau hieß Andrea und hörte sich am Telefon sehr nett an.

Ich freute mich auf das Treffen. Wir trafen uns an meinem freien Nachmittag in der Innenstadt und gingen zuerst in ein Cafè, wo es vegane Kaffeespezialitäten gab. Wir hatten kein Erkennungsmerkmal vereinbart, aber ich wusste sofort, wer sie war, obwohl die Terrasse des Cafès gut besetzt war. Der kleine schubladendenkende Snob in mir dachte “Oh nein, bitte lass es nicht sie sein”. Doch sie war es.

Eine Frau Anfang 40, ganz in schwarz gekleidet, etwas “korpulenter”, wie man hier in der Gegend zu sagen pflegt, mit hohen Springerstiefeln und einem sogenannten Staubmantel, wie man in ihn Wild-West-Filmen gerne trägt. Dazu feuerrot gefärbte Haare und gefühlt mehr Metall im Gesicht, wie an meinem Auto dran ist. Als sie den Mantel auszog, sah man an beiden Armen aufwendige Tattoos. Sie sprach einen Dialekt, den man laut nicht repräsentativen Umfragen zum unbeliebtesten Deutschlands gewählt hatte.

Nach meinem ersten Schock versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen und wir unterhielten uns. Siehe da, die Frau war supernett und sehr sympathisch. Alle um uns herum starrten uns an. Ungleicher hätten wir nicht sein können. Sie, die Metal-Hardcore-Veganerin und ich die Mode affine “Tussie” in ihrem hellblauen Spitzenfrühlingskleidchen mit weißen Ballerinas und dem passenden Handtäschchen.

Optisch sah sie wirklich zum fürchten aus in ihrer gesamten Aufmachung, aber unter der harten Schale, steckte ein weicher Kern.

Was treibt Menschen dazu an, sich so auffällig zu machen? Ich rede jetzt nicht von jugendlichen Experimentierphasen, die fast jeder hatte, sondern von erwachsenen Menschen. Natürlich gefiel sich diese Andrea so, wie sie war, regte sich aber gleichzeitig darüber auf, dass die Bürger einer Kleinstadt sie in ihrer Aufmachung anstarrten.

Andersartigkeit ist oft auch eine Art Maske, ein Schutzschild, um durch die Extravaganz davon abzulenken, dass man das “wahre Selbst” sieht.  So ähnlich wie auch bei Frauen, die kein Make-up mehr tragen, sondern schon  etwas ähnliches wie Stuckateur-Arbeiten. Auch sie verstecken sich. Durch ein Krönchen würde ich mich auch verstecken, obwohl ich mich scheinbar nach außen hin hervorheben würde. Ist das der Grund, warum Menschen aussehen wollen wie Barbie oder Ken, oder Ochsenringe tragen, sich das halbe oder ganze Gesicht tättowieren lassen, die Haare teilweise abrasieren etcetcetc? Ich habe keine Ahnung, aber ich weiss, dass es der menschlichen Natur entspricht, Andersartigkeit zu betrachten. Das kann auch ohne Wertung sein, rein aus Neugierde, weshalb die Person etwas macht. Nicht jedes “anstarren” muss immer feindselig ausgelegt werden. Manchmal kann es durchaus auch einfach nur interessierte Aufmerksamkeit sein.

Natürlich werde ich morgen keine Tiara zur Arbeit aufsetzen… obwohl… die Blicke wären sicher Gold wert und jetzt zur Faschingszeit würde es vielleicht gar nicht mal so auffallen.

Übrigens trug ich das Teil schon mal – an meinem Junggesellinnenabschied und da fand es jeder “normal”.

JGA Margit 2008 002

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