Alles geht irgendwann einmal zu Ende

Ich sitze gerade zu Hause weil ich angehalten wurde Überstunden abzubauen- dem Coronavirus geschuldet. Die unerwartete Freizeit kommt mir heute sehr entgegen, weil ich mich etwas müde und schlapp fühle. Ich lag also gerade so auf dem Sofa und dachte über die Zeiten in meinem Leben nach, die nicht so schön waren, aber dennoch irgendwann vorüber gingen.

Als ich Mitte / Ende 20 war arbeitete ich in einem Fotogeschäft und dort gab es einen Stammkunden. Er hasste mich, ich fand ihn einfach nur grausig. Er hatte die Angewohnheit, alle weiblichen Angestellten zwar zu siezen, aber mit ihren Vornamen anzusprechen. Die männlichen Angestellten wurden immer mit ihrem Familiennamen angesprochen. Wenn er den Laden betrat, mussten alle alles stehen und liegen lassen und sofort zu ihm eilen und seinen Wünschen entsprechen. Er hatte immer eine Lodenkluft an mit Jägerhut. Den das war sein Beruf: Jäger.

Viele Jahre sprangen wir alle zu ihm, sowie er die Tür durchschritten und sich zu seinem Stammplatz begeben hatte. Von dort erteilte er dann seine Befehle. Meist in sehr barschem Befehlston. Er hatte die Angewohnheit meinen Namen regelmässig zu verballhornen und mich mit Margot anzusprechen. Es bereitete ihm sichtliches Vergnügen, zu sehen, dass ich mich immer darüber aufregte. Jeder im Laden machte gute Miene und niemand erhob je das Wort gegen den Herrn. Tja, bis zu dem Tag, an dem die kleine Revoluzzerin in mir die Oberhand gewann.

Es war ein Tag an dem der Laden randvoll war mit Kundschaft. Jeder Angestellte war beschäftigt. Er kam herein und ich stand seinem Stammplatz am nächsten, beriet aber gerade einen anderen Kunden. Für gewöhnlich hätten wir alle jeden anderen Kunden kurz stehen lassen und ihm wenigstens vorerst seine Bestellungen aushändigen müssen. Nicht so an diesem Tag. Ich ignorierte ihn. Ich wollte den sehr netten Kunden, der mich um Rat gefragt hatte und dessen alte Fotografien wir gerade bezüglich Restauration besprachen nicht wegen dem alten penetranten Sack stehen lassen. Er hatte es nicht verdient, wegen so einem zu warten. Herr…ohm mir ist sein Name entfallen!!! Obwohl er mich jahrelang gepiesackt hat, fällt mir tatsächlich sein dämlicher Name nicht mehr ein – nennen wir ihn der Einfachheit halber einfach Depp. Herr Depp zischte unwirsch zu mir herüber “Margotttt holen Sie mir sofort meine Bestellungen” und ich sagte “Herr Depp, Sie sind an der Reihe, sowie ich Zeit habe!”. Ich war über meine eigenen Courage erstaunt. Nie hatte jemand es gewagt, Herrn Depp etwas abzuschlagen. Er wurde richtig zornig und schrie mich vor allen Kollegen und Kunden an: “Margotttt, holen Sie auf der Stelle meine Bestellungen, damit ich sie durchsehen kann”. Ich blieb unnatürlich ruhig, aber nur äußerlich, innerlich zitterte ich und ich sagte zu ihm: “Mein Name ist Margit und für Sie immer noch Frau M. (mein Nachname)! Und Sie warten jetzt auch mal, bis Sie an der Reihe sind, wie normale Menschen auch!”. Er schrie wutentbrannt: “Das wird Ihnen noch sehr leid tun”. Es war mucksmäuschenstill geworden. Kaum jemand traute sich zu atmen. Er nahm seine Aktentasche, stürmte zum Treppenhaus und rannte dort schnurstracks ins Büro des Ladenbesitzers um sich über mich zu beschweren.

Ein Kollege kam auf mich zu, umarmte mich und sagte “Ich bin stolz auf Dich”, eine Kollegin sagte “Oh Margit, das wird noch Ärger geben”. Der Mann mit den zu restaurierenden antiken Fotografien schaute nur total verdutzt und ich entschuldigte mich bei ihm, dass er in dieses Geschehen hinein geraten war. Er meinte “Ich glaube, das war echt mal überfällig mit dem Typen” und grinste mich an.  Es geschah danach nicht sehr viel. Der alte Sack hatte sich zwar massiv über mich beschwert, aber was hätte mein Vorgesetzter sagen sollen. Ich hatte mich nicht falsch verhalten. Es wurde vereinbart, dass ich Herrn Depp keinesfalls mehr bedienen dürfte. Darüber war ich natürlich äußerst traurig… hahahhhaaaa.

Keine Ahnung ob der noch lebt. Vermutlich schon. Es war eine äußerst drahtige, ausgemergelte Kreatur. Sowas konserviert. Er war damals bestimmt in seinen späten 60ern und müsste dann entsprechend heute so um die 85 / 90 sein. Doch ich bin mir fast sicher, dass dieser fiese kleine Arsch noch lebt und vermutlich in einem Altersheim die Pflegerinnen tyrannisiert.

Diese Geschichte soll mir verdeutlichen dass jede beschissene Situation irgendwann vorüber war. Ich habe Herrn Depp schon seit 1997 nicht mehr sehen müssen und kann mich nicht einmal mehr an seinen richtigen Namen erinnern. So ähnlich wird es spätestens in weiteren 23 Jahren (eher schon viel früher) mit Leuten sein, die mir im Hier und Jetzt das Leben schwerer machen als es sein müsste. Wenn es also so oder so zwangsläufig in absehbarer Zeit irrelevant sein wird, dann muss es mich jetzt auch nicht belasten oder aufregen. This too shall pass. Auch dies wird vorüber gehen!

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