Herzeleid

Heute morgen fuhr der Bus eine ganze Weile leicht versetzt parallel zu einem Viehtransporter auf der zweispurigen Straße in die Innenstadt. Der Transporter fuhr immer etwas voraus, so dass ich hinten aus dem Luftschlitz in der Türklappe die Augen eines Rinds sah. Es schaute neugierig in die Welt, nicht wissend, dass sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zum Schlachthof gefahren wurde. Wir sahen uns in die Augen und ich wünschte, ich hätte diesem wunderschönen Wesen helfen können. Ich wünschte mir so sehr, dass ich seinen viel zu frühen Tod hätte verhindern  können. Doch ich konnte nur ohnmächtig zuschauen, wie der Transporter gerade aus weiterfuhr, während der Bus abbog.

Es gab realistisch nichts, was ich hätte tun können. Selbst wenn ich im kurzen Stau, der sich gebildet hatte, aus dem Bus gesprungen wäre und die Türe geöffnet hätte um das noch halbwüchsige Kalb heraus zu lassen, hätte das damit geendet, dass es womöglich mehrere Unfälle gegeben hätte und wohin hätte ich es bringen sollen? Das Ganze wäre vermutlich so geendet, dass ich verhaftet worden wäre und das Rind erschossen. Ich hätte den Fahrer fragen können, ob er es mir verkauft und dann hätte ich Lebenshöfe suchen können. In der Zwischenzeit hätte ich vielleicht eine Pferdebox mieten können. Es hätte wahrscheinlich Monate gedauert, bis ich es untergebracht hätte, wenn überhaupt. Rinder sind teuer im Unterhalt und es ist schwer, einen Platz zu finden. Die meisten Lebenshöfe nehmen die Tiere nur auf, wenn die Lebenshaltungskosten durch Patenschaften gedeckt sind. Das alles vorausgesetzt, dass der Fahrer es mir hätte verkaufen können. Das wäre die einzig legale Möglichkeit gewesen, jedoch verbunden mit ganz vielen Eventualitäten und Wenn und Abers.

Ich kann es mir jetzt einfach machen und mir versuchen einzureden, dass es vielleicht gar nicht zum Schlachthof gefahren wurde, sondern nur zu einem anderen Bauern, wo es jetzt glücklich auf einer riesengroßen Weide herum springt. Ganz abgesehen davon, dass höchstens 1% der Rinder (und auch andere sogenannte Nutztiere) so leben können, werden sie dennoch ganz lange vor Ablauf ihrer natürlichen Lebensspanne ermordet.

Es ist eher wahrscheinlich, dass das verspielte, neugierige Tierkind gestern morgen noch im Schlachthof in alle Einzelteile zerstückelt wurde. Mit Glück war es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei Bewusstsein – diese Gnade ist nicht allen Tieren vergönnt. Ein erschreckend hoher Prozentsatz wird leider bei vollem Bewusstsein geschlachtet (viele Kühe auch fortgeschritten trächtig!)

Ich hoffe, das süsse Wesen lebt jetzt in einer besseren Welt und ich hoffe, es versteht, dass ich ihm nicht helfen konnte. Immer wenn ich so etwas erlebe, läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken und Übelkeit überkommt mich, bei dem Gedanken, was die Tiere erleiden müssen. Und wofür? “Weil es so gut schmeckt und man nicht darauf verzichten will”.

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Es tut mir so unendlich leid kleines Kälbchen, dass die Welt so ist, wie sie ist. Run free!

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