Sind manche Menschen im Alltag unsichtbar?

Gestern früh lief ich zur Arbeit und kam an einer Gärtnerin vorbei, die gerade den Vorgarten einer Firma pflegte. Ich schenkte ihr ein Lächeln und wünschte ihr einen guten Morgen. Sie hielt überrascht mit ihrer Arbeit inne und sagte “Wissen Sie, dass Sie eine der wenigen Menschen sind, die mich überhaupt sehen? Hier liefen in der letzten halben Stunde zig Leute vorbei und keiner hat mich auch nur eines Blickes gewürdigt. Es ist traurig, aber ich bin jetzt fast erschrocken, weil Sie mich angesprochen haben, ich dachte schon, ich wäre unsichtbar”. Nein, sie war nicht unsichtbar. Genauso wenig, wie die Putzfrauen in den Gebäuden, die auch sehr oft “übersehen” werden. Viele in der materiellen Welt gefangenen Menschen denken, sie wären “etwas Besseres” und Arbeitskräfte wie Putzfrauen, Hausmeister oder Gärtner wären “unter ihrer Würde” und sind daher “nicht existent”.

Eine Bekannte, die verzweifelt einen Mann sucht, wurde mal von einem Busfahrer angesprochen. Doch sie war sich “zu Schade” für “sowas”. Wie bescheuert ist das denn. Was denkt die sich? Nur weil sie selbst den ganzen Tag in einem Büro hockt, ist sie deswegen ganz sicher nicht intelligenter oder “höher gestellt” als ein Busfahrer. Was ist den ein Pilot gross anderes, als ein Busfahrer in der Luft? Das Ansehen eines Piloten ist aber ein ganz Anderes. Obwohl auch der Busfahrer jeden Tag die gleiche Verantwortung für viele Menschen hat und achtsam sein muss, um seine Fahrgäste heil ans Ziel zu bringen.

Wenn es keine Putzkräfte geben würde, wäre es in den Firmen schnell sehr unhygienisch und die Gärtner tragen zur Ästhetik bei und somit ebenfalls zum Wohlbefinden der Mitarbeiter.

Keine Arbeit ist “wertvoller” als die Andere.  Eine Gärtnerin ist vielleicht glücklicher in ihrem Beruf, als ein Manager. Das, was die Menschen tun um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sagt rein gar nichts über sie als Mensch aus. Ein Busfahrer kann genauso belesen und gebildet sein, wie ein Akademiker. Ich kenne einen Autodidakten, der ein weit größeres Wissen hat, als die meisten studierten Menschen die ich kenne, dabei hat er “nur” einen Hauptschulabschluss. Das deutsche Schulsystem hat ihm einfach nicht zugesagt. Er ist vielseitig interessiert und kennt sich in Physik, Chemie und Geschichte mit Sicherheit besser aus als so mancher Lehrer. Er hat nur kein Diplom für sein Wissen. Ein weiterer Unterschied ist noch, dass er versteht, was er sich angeeignet hat und es nicht nur auswendig gelernt hat. Viele Akademiker haben ihre guten Noten nur einem ausgezeichneten Gedächtnis zu verdanken. Ich nehme mich da nicht aus. Ich habe in der Schule früher nur das Nötigste getan. Ich war stinkfaul. Mein gutes Gedächtnis hat es mir jedoch ermöglicht, mir vor Arbeiten und Prüfungen alles zu merken. Das “Wissen” war so lange in meinem Kurzzeitgedächtnis, wie nötig und danach habe ich es wieder vergessen. Das brachte zwar gute Noten ein, aber kein wirkliches, echtes Wissen. Natürlich blieb schon etwas hängen und ich habe nicht alles gänzlich vergessen, aber schon einen großen Teil. Französisch zum Beispiel. Ich hatte es in der Schule, dann über Jahre keine Gelegenheit es zu sprechen oder zu schreiben und heute sind meine Kenntnisse bestenfalls noch rudimentär. Mit Müh und Not könnte ich mir was zum essen bestellen.

Der Beruf eines Menschen ist irrelevant. Es ist nur ein Abschnitt. Der Busfahrer fuhr nicht immer Bus und wird es auch nicht für immer tun. Genauso wenig, wie der Geschäftsführer immer nur Geschäftsführer ist. Auch er ist Mann, Freund, vielleicht Vater, passionierter Oldtimerfan oder was auch immer. Die berufliche Tätigkeit ist nur ein Bruchteil einer “Persönlichkeit”, niemals das Wesentliche.

Wenn das Spiel irgendwann einmal zu Ende ist und alles wieder zurück in die Kiste kommt, dann zählt kein Diplom mehr und keine berufliche “Anerkennung”. Vielleicht zählt dann mehr, ob Gärtner und Putzfrauen unsichtbar oder sichtbar waren.

One thought on “Sind manche Menschen im Alltag unsichtbar?

  • 21. August 2016 um 07:35
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    Was für ein fantastischer Artikel!!! Ich kann dir da absolut zustimmen und mache dieselben Erfahrungen mit “meinem” Paketboten. Er ist so begeistert bei seiner Arbeit und wirkt auf mich sehr intelligent und humorvoll. Als ich ihm zu Weihnachten eine Karte und einen Wein schenkte, war er völlig überrascht. Wahrscheinlich ist auch er es gewohnt, dass sein Job als völlig selbstverständlich angesehen wird und die Menschen ihn nicht wirklich wahrnehmen. Seither bemühe ich mich, auch die Gärtner, Putzfrauen und Busfahrer wahrzunehmen. Sie haben es verdient!!!

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