Ich bin nicht so breit

neulich fuhr ich mit dem Bus nach Hause. Normalerweise wird oben immer die Haltestelle per Display angezeigt, aber das war an diesem Tag defekt, wie uns der Busfahrer beim Einstieg nett und freundlich erklärte.

Es stieg auch eine sehr dicke Frau zu. Sie benutzte nicht den Einstieg vorne, sondern stieg hinten ein, grölte dann sehr laut nach vorne Richtung Busfahrer “Sie wissen schon, dass Ihre Anzeige nicht funktioniert, oder??? Also so können Sie doch nicht herum fahren. Die Leute müssen schon wissen, in welche Linie sie einsteigen”. Er erklärte auch ihr nochmals nett und freundlich, dass die Anzeige vor wenigen Minuten ausgefallen wäre und er noch keine Zeit hatte, es reparieren zu lassen. Sie ließ sich neben mich plumpsen und drückte mich gegen die Fensterscheibe. Ich sagte nichts. Sie gab zu jeder Haltestelle ihren unverlangten Kommentar ab… ungefähr so “wenn der weiter so rumfährt, dann sind die Leute ja total verwirrt und wissen nicht, was für eine Linie ist, also sowas blablablablabla”.

Wie durch ein Wunder erkannte ich meine Haltestelle, wo ich aussteigen musste auch ohne Display und quetschte mich aus meiner Zwangslage heraus. Sie machte zuerst keine Anstalten aufzustehen, meinte dann noch “kommen Sie raus, oder soll ich aufstehen?” und ich antwortete “nein, bleiben Sie sitzen, ich komme so raus, ich bin nicht so breit”. Ich dachte mir echt überhaupt nichts dabei, bis ich den hasserfüllten Blick der Frau sah. Ich fürchte, sie hätte mich am allerliebsten mit ihren Einkaufstüten erschlagen. Ich stieg hastig aus und war froh, dass sie mir nicht folgte. Dann musste ich erst einmal lachen. Ok, es war nicht nett gewesen, was ich gesagt hatte, aber ich hatte es vollkommen ohne jegliche Absicht ausgeplaudert. Es stimmte ja auch, ich bin nicht so breit. Es war nur eine Feststellung der Tatsachen gewesen. Ich hatte dann doch ein schlechtes Gewissen, weil es die Frau wohl verletzt hatte. Als ich es abends einer Freundin erzählte meinte die “das muss nicht Dir peinlich sein, sondern ihr! Sie hat sich rücksichtslos auf den Sitz gequetscht ohne jeglichen Gedanken daran, dass Du mindestens 3 Stationen so fest sitzt und Dich nicht bewegen kannst. Das war der doch auch egal – die Frau müsste sich Gedanken machen und zwar generell um ihr Verhalten, aber doch nicht Du”. Meine Freundin hatte absolut recht. Ich hatte mir mal wieder vollkommen unnütz den Kopf zerbrochen. Ich konnte nichts dafür, dass die Frau fett war und dass sie ein unzufriedenes nörgelndes Wesen war, hatte ich auch nicht zu verantworten. Ich hatte ihr nur unbewusst einen Spiegel vorgehalten. Nämlich dass sie stark übergewichtig und rücksichtslos war.

Wenn ich mich über andere Leute ärgere, halten sie mir ebenfalls nur einen Spiegel vor. Die nervige Bekannnte, die ständig die gleichen Sachen sagt gibt mir zu verstehen, dass ich mich im Stillstand befinde und wie im Treibsand feststecke und nicht vom Fleck komme. Die wankelmütige Person, die alle paar Minuten ihre Meinung komplett ändert zeigt mir, dass ich mich entscheiden muss und meine Gedanken aufhören sollen mal hier und mal dort hin zu springen. Die krebskranke Freundin zeigt mir, dass ich mein Leben ändern muss, bevor ich auch krank werde. Das Äußere spiegelt nur mein Inneres wieder.

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