Reklamationen wollen geübt sein

Gestern erzählte mir eine Bekannte, dass ihre Haare in einem Friseursalon komplett verhunzt wurden. Sie traute sich aber nicht zu reklamieren. Kenne ich zu gut. Hatte ich auch schon. In sowas bin ich inzwischen taffer geworden. Das passiert mir nicht mehr. Die hätte ich sowas von rund laufen lassen! Ich bin nicht immer lieb und nett. Auch das musste ich mühsam erlernen.

Ich kaufte mir Anfang Juli schwarze Stiefeletten. Ich trug sie kaum und musste diese Woche feststellen, dass sich vorne schon die Sohle an beiden Schuhen löst. Dadurch wurden sie undicht und ich kam mit nasskalten Füßen nach Hause.  Ich habe sie reklamiert und bekomme sie problemlos erstattet.

Irgendwie tun mir die Stiefeletten leid. Ja, ist schon klar, es sind nur Gegenstände. Trotzdem sind die Stiefel irgendwie bezeichnend für unsere Gesellschaft. Es würde sich nicht rentieren, die Schuhe bei einem Schuster reparieren zu lassen. Es würde vermutlich die Hälfte dessen kosten, was die Schuhe insgesamt gekostet hatten. Ich habe das einmal gemacht und draus gelernt, dass die Ware trotz der Schusterarbeit bald wieder an anderer Stelle defekt wurde. Wurden die Teile vorne geflickt, fing es bald an den Absätzen an. Deshalb habe ich sie diesmla zurück geschickt, wo sie mit Sicherheit verschrottet werden.

Ist es auch so mit unseren zwischenmenschlichen Beziehungen? “Lohnen” sich Reparaturen oft nicht mehr? Ist es wirtschaftlicher, Beziehungen – egal ob Partner oder Freundschaften – auszutauschen, anstatt sie zu kitten?  Selbst Haustiere und alte Verwandte werden einfach entsorgt, wenn man ihrer überdrüssig ist oder wenn sie nicht mehr ins Lebenskonzept passen oder nicht so sind, wie es erwartet wurde. Weg damit und was Neues her. Alles ist beliebig austauschbar. Auch Mitarbeiter sind schnell ersetzt. Wissen und Können selten geschätzt. Ein wertschätzender Umgang? Fehlanzeige. Wem es nicht passt, der bleibt auf der Strecke. Gibt ja genug andere. Ex und Hopp. Gibt es auch in menschlichen Interaktionen eine “geplante Obsoleszenz”?  Sabotiert man manche Kontakte absichtlich oder auch unterbewußt?

Wer meinen Block schon länger ließt, der weiss, dass ich vor ein paar Jahren von einer Bekannten von einem Tag auf den Anderen geghostet wurde. Was der Auslöser dafür war, weiss ich bis heute nicht. Ich denke, sie war über eine von mir aufgestellte Theorie dermaßen erbost, dass sie deswegen den Kontakt komplett abgebrochen hat, ohne jemals mit mir darüber zu reden.

Ganz grob ging es darum, dass die Dame Herdentiere hat, die jedes Jahr von der unsäglichen Silvesterböllerei traumatisiert werden. Ich kann das gut nachvollziehen. Auch unser Kater aus dem Tierschutz, der drei Einschüsse hatte und mehr tot als lebendig gefunden wurde, leidet jedes Jahr unter dieser unnötigen Knallerei.

Mein Fehler war, dass ich – so dachte ich zumindest – sanft darauf hingewiesen hatte, dass sie sich jedes Jahr schon ab August komplett fertig macht wegen der bevorstehenden Neutraumatisierung ihrer Tiere. Ich sagte ihr, dass sich dies womöglich auf die Tiere überträgt und es vielleicht deshalb jedes Jahr noch schlimmer ist. Sie hat es vermutlich als anmaßend empfunden. Ich habe ja schließlich keine Herdentiere und weiss nicht, wie das ist.

Die Reaktion war dem vorausgegangenen, vermuteten Ereignis natürlich nicht angemessen. Sowas hätte man diskutieren und aus der Welt schaffen können. Es war kein Grund, einem dafür die Bekanntschaft (eine Freundschaft war es ja nicht) zu kündigen. Zumal wir uns ja über die Ursache selbst einig waren. Wir finden beide dass die privaten Feuerwerke an Silvester verboten gehören.  Es gab ja nicht einmal konträre Meinungen. Schmeisst man wegen sowas eine beginnende Freundschaft (das war es damals für mich) weg? Hat sie vorher schon etwas gesucht, um bei mir etwas zu finden, was ihr den “Grund” gibt, mit mir zu brechen? Es gab voher nichts. Wir trafen uns ein paarmal und hatten echt nette Abende / Nachmittage verbracht. Hatte auch sie schon insgeheim eine Verfallszeit unserer Bekanntschaft eingeplant? Oder war ihr der Kosten/Nutzen Faktor einer Reklamation zu gering, weshalb sie mich als unrentabel einstufte?

Sie war vermutlich so gekränkt von meiner Vermutung, dass sie durch ihre Panik die Tiere anstecken könnte, dass sie nichts mehr in diese Bekanntschaft investieren wollte. Ich war für sie ein Paar nicht wasserdichte Stiefeletten. Eine Reparatur zu aufwendig und ungewiss, ob sie hält. Sowas wirft man besser gleich weg.

Ich tu mich schwer, mit dem “Wegwerfen” von Menschen – selbst dem Verschrotten von Schuhen stehe ich sehr skeptisch gegenüber(oh, ich meine selbstverständlich dem Vernichten von Schuhen. ich wurde massiv darauf hin gewiesen, dass nur Autos verschrottet werden, nicht jedoch andere Gegenstände…).

Ich bin mir sicher, dass ich es nicht fertig bringen könnte, jemand zu ghosten. Ich denke auch, dass das schon ein soziopathisches Verhalten ist. Selbst wenn wir uns vorher schon ein paarmal in die Haare bekommen hätten (was nicht der Fall war) wäre das Ghosting maßlos übertrieben gewesen. Für so einen Schritt müsste bei mir schon sehr viel mehr passieren, wie eine Mutmaßung über irgendein Verhalten. Dafür müsste der Mensch schon etwas wirklich Abscheuliches tun. Alles andere läuft bei mir unter “Kann aus der Welt geschafft werden”.

Vielleicht sollte ich aber auch andere Regeln aufstellen und Grenzen setzten. Ich verzeihe allen viel zu schnell und lass mir viel zu viel gefallen. Ich lasse mich immer viel strenger “bewerten”, “beurteilen” und “verurteilen” wie ich es bei anderen tue. Es wird mit ganz anderen Maßen gerechnet. Ich mache mir um Andere viel zu viele Gedanken und zerbreche mir den Kopf um solche Geschichten, wie die oben beschriebene Geschichte. Ich bin mir recht sicher, dass sich die gute Frau da schon lange keinen Gedanken mehr drum macht. Auch ich werde mir vornehmen, mich viel weniger um andere zu scheren und was die wohl denken oder fühlen könnten. Ich muss der wichtigste Mensch in meinem Leben sein und ich muss an erster Stelle kommen. Davon bin ich leider noch Dimensionen entfernt, aber ich werde daran arbeiten.

Also, wenn Ihr meine Klamotten nicht mögt, oder mein Styling – is mir doch wurscht! Mir gefällt es, also haltet den Rand! Ich finde Eure Fummel auch nicht toll, aber das ist ja Euer Bier. Ich würde Euch das nicht ins Gesicht sagen, sondern denke mir meinen Teil, denn die Gedanken sind noch immer frei. Ich hab keinen Bock mehr drauf, alles was ich sage, tue, denke und fühle von anderen auf die Goldwaage legen zu lassen. Ich bin zu alt für diesen Scheiß! Wenn Ihr beleidigt seid, seid beleidigt. Wenn Ihr eingeschnappt seid, seid eingeschnappt und schnappt meinetwegen wieder aus. Not my business! Ihr mögt es nicht, wenn ich mich mit XY treffe? Pff drauf gesch… ich mag mich aber mit XY treffen! Ihr seid nur stolz auf mich, wenn ich mich so verhalte, wie es erwartet wird und mich dafür bis zur Unkenntlichkeit verbiegen muss?  Dann seid gefasst auf den Tag, wo ich es endgültig satt haben werde, Eure Erwartungen zu erfüllen, denn dieser Tag ist nah. Ihr wollt mich ghosten? Tut das, vermutlich ist es das Beste, was mir passieren kann. Ihr mögt mich mich nicht mehr, weil ich mich nur noch pflanzlich ernähre? Ach f… Euch doch!

 

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