Im Sommer las ich in der Zeitung, dass ein Kälbchen vom lokalen Schlachthof ausgebüxt war und zum Abschuss freigegeben worden war. Das konnte ich nicht zulassen. Deshalb bot ich dem Bauern das Geld, das er für das Kalb im Falle einer Schlachtung bekommen hätte. Es war eine für mich sehr hohe Summe, aber das war mir egal. Irgendwie hätte ich das finanziert. Viel wichtiger war das Leben des Kalbs. Es wurde nach zwei Wochen Suche gefunden, lebend eingefangen und der Bauer versprach mir, dass es nicht geschlachtet wird, sondern leben darf, bis es eines natürlichen Todes stirbt.
Ich habe es besucht und mich selbst überzeugt, dass es dem Kuhmädchen gut geht. Es lebt auf einem Biohof. Die Rinder haben ein sehr großes Areal zum abgrasen und leben dort sehr idyllisch. Im Vergleich zur Massentierhaltung geht es den Tieren sehr gut. So lange jedenfalls, bis sie zum Schlachthof gebracht werden, was bei Kälbern schon nach 5 Monaten Lebenszeit der Fall ist. Trotzdem ist das noch immer die weitaus bessere Variante, wie in einer Anlage ohne Tageslicht in Anbindehaltung, wo sich die Tiere kaum bewegen können und dahin vegetieren, bis sie entweder schon als Kalb geschlachtet werden, oder erst noch 5 Jahre als Milchkuh leben müssen und immer wieder zwangsgeschwängert werden, damit sie Milch geben. Der Bauer und seine Schwestern sind sehr nette Zeitgenossen. Bitte nicht falsch verstehen, selbstverständlich wünsche ich mir, dass kein Tier sterben muss und alle ein schönes Leben bis zu ihrem natürlichen Tod führen können. Doch bis jetzt lebt leider der Großteil der Menschheit karnistisch geprägt. Der Bauer deckt nur die Nachfrage. Die einen Tiere isst man, die anderen streichelt man. Fleischkonsum wurde anerzogen. Mitgefühl für Nutztiere aberzogen. Seit Jahrtausenden. Welche Spezies Nutztier ist und welche Haustier ist kulturell unterschiedlich und je nach Region stark variierend.
In der Lokalzeitung wurde über die gesamte Aktion berichtet und die Überschrift lautete “Veganerin will Kalb kaufen”.
Ja, ich lebe vegan, das stimmt. Aber ich bin so viel mehr als eine “Veganerin”. Vegan zu leben impliziert nicht automatisch, dass einem Tierrechte wichtig sind. Einige Veganer essen aus gesundheitlichen Gründen keine tierischen Produkte. Nicht jeder Veganer ist ethisch motiviert und setzt sich für Tierrechte ein. Eine genauere Definition wäre also “sich rein pflanzlich ernährende Tierrechtlerin, die tierische Produkte aus ethischen Gründen ablehnt”.
Ich glaube, ich werde mir angewöhnen in Restaurants, nicht mehr zu sagen, dass ich Veganerin bin, sondern dass ich mich rein pflanzlich ernähre. Das verhindert vielleicht auch Situationen, wie ich sie einmal in einem “gutbürgerlichen” deutschen Lokal erlebt habe. Das “vegane Gericht” enthielt Rauchfleischstückchen. Auf die Frage was das bitte soll, bekam ich zur Antwort “Ja wie soll ich den sonst einen Geschmack rein bringen”. Ich antwortete damals “Gewürze wären eine gute Möglichkeit”, aber ich stieß auf taube Ohren. Der Wirt hatte offensichtlich nicht verstanden, was vegan bedeutet. Vielleicht wäre es ihm bei “rein pflanzlich” klarer gewesen. Vermutlich hätte ich dort einen Blattsalat ohne jegliches Dressing bekommen, aber darüber würde ich mich viel mehr freuen als über ein für mich ungeniessbares Gericht mit Rauchfleischstückchen.