Vor einigen Tagen erhielt ich abends einen Anruf eines Herrn. Er wollte mich als Fotografin engagieren um seinen Hund und seinen Stier zu fotografieren, jedoch erst im Frühling, wenn die Wiese wieder grün ist. Wir unterhielten uns darüber, wie er sich die Bilder vorstellt und er fragte nach meinen Ideen. Er erzählte mir, dass der Hund und der Stier zusammen aufgewachsen wären und sich sehr mögen. Das gefiel mir sehr. Doch dann sagte er dass er die Portraits als Andenken an den Stier wolle, weil dieser geschlachtet werden soll.
Ich sagte ihm, dass ich in diesem Fall die Bilder nicht machen kann. Ich erklärte ihm auch warum: Ich weiss, dass ich nicht alle Tiere vor dem Schlachter retten kann. Wenn ich jedoch ein Tier persönlich kenne und eine Beziehung dazu aufbaue, dann bringt es mich in einen massiven Gewissenskonflikt. Dann würde ich den Stier unbedingt retten wollen. Ein Rind auf einem Lebenshof unterzubringen ist jedoch sehr schwer, wie ich aus Erfahrung weiss. Rinder sind auch im Unterhalt sehr teuer und man braucht viele Teilpaten, um die Versorgung sicher zu stellen. Trotzdem müsste ich das dann aber versuchen, weil ich nicht zulassen könnte, dass das Tier stirbt.
Ich erzählte ihm, dass ich vor drei Jahren einmal einen todkranken Hund fotografiert habe. Das Frauchen des Hundes wollte die Bilder ebenfalls als Erinnerung. Das tat mir damals auch sehr weh, weil der Hund wirklich toll war. Ich war dann auch wirklich traurig, als er zwei Monate später seiner Krankheit erlag. In diesem Fall stand es nicht in unserer Macht, den Hund zu retten und die Frau hätte auch alles für ihn getan, weil sie ihn sehr liebte.
Bei dem Stier wäre es nochmals eine schlimmere Situation, weil er ohne Not sterben müsste. Er ist ja kerngesund und hat noch eine Lebenserwartung von 15-20 Jahren. Der Mann hörte sich alles was ich zus sagen hatte in Ruhe an und sagte zuerst nichts, doch dann sagte er, dass es ihm auch unangenehm wäre, den Stier töten zu lassen. Er rief mich kurze Zeit später nochmals an und fragte, ob ich seine Tiere fotografieren würde, wenn der Stier auf einen Hof von Freunden von ihm käme und dort leben dürfte. Ich sagte ihm, dass ich dann absolut keinen Grund mehr hätte, die gegen die Portraits sprächen. Ich fragte ihn, warum er ihn nicht selbst als Ochse behalten könne und er sagte mir dass er darüber nachdenken wird.
Gestern kam eine WhatsApp von ihm, dass er das Rind als Ochse behalten wird. Ich sagte ihm, dass er mir kein schöneres Weihnachtsgeschenk hätte machen können. Jetzt freue ich mich schon auf die Bilder im Frühjahr. Ich sehe es schon vor mir, wie beide Tiere glücklich zusammen auf der Koppel herum tollen und ich das mit der Kamera einfangen darf.