Man schrieb das Jahr 1990 und es war eine sternenklare Silvesternacht. Überall feierten kultivierte Menschen den Jahreswechsel. So auch eine Gruppe junger Erwachsener, wobei das Verständnis für Kultur dort sehr relativiert war.
Die Party in der Scheune neben dem Elternhaus des Gastgebers war in vollem Gange. Es gab hausgemachten Kartoffelsalat. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich hungrig mit meinem Teller am Büffet stand, als sich eine Horde Mitglieder einer Motoradgang an mir vorbeidrängelte, mit den bloßen Händen eine Portion aus der Schüssel nahm, sich diese in den Schlund stopfte und mit einem Krug Bier nachspülte. Irgendwie war mir daraufhin der Appetit vergangen. Als einer der Herrschaften mir netterweise eine Hand voll anbot, lehnte ich aus unerfindlichen Gründen dankend ab.
Die Stimmung war schnell auf dem Siedepunkt und konnte auch nicht durch das wiederholte Auftauchen von damals noch grün-weißen Fahrzeugen und mehrfachen Einsätzen eines Krankenwagens getrübt werden.
Der erste Sanitäter musste anrücken, als einer der Gäste beim Bierholen in eine Baugrube fiel, in der das Gebräu zwecks Kühlung abgestellt war, und sich dabei den Knöchel brach. Das zweite Mal kamen die guten Samariter, als einer der Gäste über die Blumenkübel der Mutter des Gastgebers torkelte und sich dabei eine böse Armfraktur zuzog. Und zum dritten Mal erschienen sie, als der Vater des Gastgebers das neue Jahr mit Böllerschüssen aus seiner Schrotflinte begrüßen wollte und dabei versehentlich einem der Umstehenden in den Fuß schoss. Nicht nur die Sanitäter, sonder auch die Teilzeitgäste in Grün hatten alle Hände voll zu tun. Unfallprotokolle mussten aufgenommen werden und die Anwohner hatten schon zigmal um Ruhe gebeten. Als kleine Zwischenunterhaltung wurde im winzigen Jugendzimmer des Veranstalters immer mal wieder sein dort abgestelltes Motorrad angelassen, wodurch wiederum eine Person beinahe eine Vergiftung durch die Abgase erlitt.
Einer der Nachbarn rief beim Gastgeber an und bat darum, die Musik etwas leiser zu drehen, aber jener Bitte konnte dieser nur ein müdes Lächeln abgewinnen – und er drehte noch mal um ein paar Dezibel lauter. Als das Telefon erneut klingelte, zog er aus der Küchenschublade ein Schlachtermesser heraus, kappte kurzerhand das Telefonkabel und kommentierte sein Verhalten lapidar mit den Worten: „Jetzt ruft keiner mehr an.“ Wohl wahr.
Ich schwöre, dass sich alles genau so zugetragen hat. Ohne Übertreibung. Es fand wirklich so statt.