Echte Nähe

fühle ich selten zu anderen Menschen. Zu Tieren fühle ich eine tiefe Verbundenheit, jedoch selten zu meiner eigenen Spezies.

Es gibt nur wenige Personen, denen ich vertraue. So sehr vertraue, dass ich mich nicht zurückhalte, mich nicht verstelle, nicht Angst habe, meine Wahrheit auszusprechen.

Eine der Wenigen war meine 2015 verstorbene Freundin. Wir telefonierten fast täglich, verstanden uns oft wortlos. Wir zofften uns auch mal und sagten uns, wenn uns was störte und versöhnten uns wieder. Es war eine echte, ehrliche Freundschaft, wo jede von uns sein konnte, wie sie wollte, ohne Angst, dass unsere Schwächen ausgenutzt werden würden. Bei ihr hätte ich nie Angst gehabt, unangenehme Themen anzusprechen. Sie wäre auch nie wochenlang beleidigt gewesen, wenn ich etwas Unbequemes aussprach. Sie hätte niemals eine WhatsApp von mir einfach ignoriert und Fragen nicht beantwortet.

Vielleicht gibt es so eine Freundschaft selten, vielleicht aber war es so Besonders, weil wir beide einfach wir selbst waren. Unkaschiert, offen, frank und frei heraus. Ohne Rückhalt von Gefühlen aus Angst vor Ablehnung oder Verstoßung. Ihr hätte ich es gesagt, wenn sie sich für einen Typen zu arg verbogen hätte und alle seine Hobbys mitgemacht hätte, nur um ihm zu gefallen. Bei ihr hätte ich es ansprechen können, wenn sie monatelang / jahrelang über Lappalien gejammert hätte, ohne Furcht, dass sie mich dann ghostet. Zu ihr hätte ich sagen können, dass es mich nervt, dass Vorschläge für Unternehmungen zu 90 % von mir kommen und dass mir die Freundschaft nicht tief genug ist und dass sich das ändern muss, weil mir Tiefgang wichtig ist.

Es gibt noch heute Situationen, wo ich denke “Darüber hätten wir jetzt Tränen gelacht”, die ich aber niemand anderem erzähle, weil ich glaube, dass nur sie es verstanden hätte. Vielleicht sollte ich mich hier mehr Anderen gegenüber öffnen, vermutlich finden sie die absurden Geschichten genauso lustig und lachen mit mir darüber. Vielleicht kann ich auch allen von meinen Ängsten erzählen und wie ich mich wirklich fühle und nicht nur immer “es geht mir gut” sage, um niemand zur Last zu fallen.

Die Wahrheit ist, dass ich mich oft einsam fühle, gerade in Gesellschaft. Dass ich Angst habe, ich selbst zu sein, weil ich fürchte, dann nicht geliebt zu werden, ausgegrenzt zu werden, nicht verstanden zu werden. Ich habe oft Panikattacken und habe schon Einladungen zu Parties abgesagt, weil ich simpel Angst davor hatte. Ich habe vor sehr alltäglichen Dingen Angst und weiss das rational natürlich, kann das Gefühl aber nicht steuern. Mein Cortisol-Level steigt in solchen Situationen massiv an und ich bestehe nur noch aus purer Furcht.

Die Vergangenheit hat mich “gelehrt”, dass ich früheren Freunden “zuviel “war und ich wirklich wortwörtlich Ozeane für Menschen überquert habe, die für mich nichtmal über eine Pfütze springen würden. Das heisst aber nicht, dass es wieder so sein muss, und selbst wenn, dann würde nur eine natürliche Auslese stattfinden.

Vermutlich ist genau das der “Fehler”, dass ich mich klein mache und zurück nehme, weil ich fürchte, dass ich wieder abgelehnt werde. Es kann wieder sein, dass ich als Verrückte abgestempelt und abgelehnt werde, dass ich als Pflanzenterroristin bezeichnet werde, dass ich gehostet werde, weil ich etwas total Harmloses anspreche, was anderen nicht passt und die dann so unversöhnlich beleidigt sind und ich blockiert werde. Es kann wieder vorkommen, dass sich Menschen, aus welchen Gründen auch immer, wieder von mir abwenden. Das Risiko muss ich eingehen, weil ich nur Tiefe erhalte, wenn ich selbst Tiefe gebe und nur Echtes zurück bekomme, wenn ich mich selbst nicht verstelle. Wenn ich furchtlos ich selbst bin, können auch die anderen furchtlos sie selbst sein.

Dann ist es möglich, dass ich sage “Hey, Du bist so eine tolle, schöne, starke Frau, warum machst Du immer das, was Dein Freund will, auch wenn Du gar keine Freude daran hast? Du musst Dich nicht den Hobbys Deiner Partner anpassen. Wenn Dich einer deshalb nicht mag, passt es so oder so nicht”, oder “Ich hab Dich wirklich lieb, aber ich ertrage Deine Jammerei wirklich gerade nicht. Ich wünschte, Du hättest mehr Lebensfreude und würdest Dich auf das Schöne in Deinem Leben konzentrieren und nicht immer nur auf das, was nicht gut läuft. Ich kann das verstehen, ich hing auch jahrelang in so einer Schleife fest und kann Dir sagen, dass sich dadurch nichts bessert”. “Ich wünschte Du hättest nicht diese irrationalen, beinahe paranoiden Ängste vor eigentlich Allem. Auch das kann ich gut nachvollziehen, weil ich sie selbst ebenfalls manchmal habe. Ich versichere Dir aber, dass kein SEK bei uns vor der Tür stehen wird, weil wir vor 12 Jahren mal pheripher eine kannten, die in ein seltsames Milieu abgedriftet ist und jetzt in einer Kommune lebt, die von Schwurblern bevölkert wird. Es ist nur dem auf und ab der Hormone geschuldet. Es ist nur eine Phase Hase und auch dies wird vorüber gehen!”  oder “Es gibt einen Unterschied zwischen Schnäppchenjagd aus Spass und dem Zwang immer und überall etwas abzustauben und ich fürchte, der schmale Grad ist überschritten. Ich habe das Gefühl, dass Du zu viel Schrott kaufst um damit eine Leere in Dir zu füllen. Auch das kenne ich zu gut, weiss aber aus Erfahrung, dass das nicht funktioniert. Sag mir bitte, was Dir wirklich fehlt und wie ich Dir helfen kann” und “Ich mag Dich viel mehr, wenn Du nicht immer so tust, als wärst Du die Tollste, Beste und hättest alle Weisheit mit Löffeln gefressen und würdest immer die Welt retten, denn ich weiss, dass Du das nicht bist. Das musst Du auch nicht sein. Du darfst schwach sein, Ängste haben, mal versagen oder falsch liegen. Denn Du bist auch nur ein Mensch und ich mag Dich aufgrund Deiner Imperfektion nicht aufgrund des Scheins, denn Du aufrechterhalten willst, obwohl es offensichtlich ist,  dass es nur Blendwerk ist”.

Dann könnte ich auch offen sagen, dass ich noch immer einfach so weine, weil ich meine Eltern vermisse und dass ich große Angst habe, Orpheus zu verlieren. Dann müsste ich nicht so tun, als wäre alles gut und ich könnte sagen, dass ich noch nicht wieder “heil” bin. Dass ich paranoide Ängste habe und Fehler mache. Dass ich einen fiesen Zerrspiegel in meinem Kopf habe, der mir zuflüstert, ich wäre fett und hässlich. Dass ich Menschen beurteile, obwohl ich nicht in ihren Schuhen laufe, dass ich mir anmaße zu wissen was ihnen guttun würde, obwohl ich nicht in ihr Inneres sehe. Das ich einfach nur ein Mensch mit Fehlern und Schwächen bin.