Tonight Freunde

In der tiefsten Provinz gab es früher so rollende Dissen, die jede Woche in einem anderen Kuhkaff gastierten. Die Landjugend pilgerte hinterher und der Höhepunkt des Wochenendes war es, Rotwein mit Cola gemischt aus Plastikbechern zu trinken und darauf zu hoffen, dass man nicht an den verschütteten Resten, des “leckeren” Getränks mit den Schuhen festklebte.

Die “mobilen Diskotheken” fanden meist in Turn- und Reithallen, sowie Vereinsheimen statt. Auf der Bühne stand ein Typ, den ich damals schon als “älteren Mann” ansah, aber vermutlich war er nur circa 10 Jahre älter als ich. Er hüpfte den gesamten Abend in weiss-schwarz gestreiften Leggins zu Konservenmucke auf und ab und zwischen den Liedern rief er immer lautstark “Tonight Freunde” ins Mikro.

Diese Veranstaltungen waren äußerst beliebt. Böse Zungen würden sagen “Wir hatten ja damals nix anderes”, aber in den umliegenden größeren Städten gab es sehr wohl “richtige Diskotheken”, die jedoch ganz andere Musik spielten. Bei den Dorfevents gab es meist 80er Klassikrock, allerdings waren es damals noch keine Klassiker, sondern erst frisch erschienene Songs, bzw. höchstens 10 Jahre alte Lieder. Klassiker sind sie erst jetzt. Vielleicht mag ich deshalb das ganze Zeug aus den 80ern nicht mehr hören, weil ich schon damals einen absoluten Überdruss daran hatte.

Früher war nicht wirklich alles besser. In der Nostalgie war es damals schon schön. Die Veranstaltungen erleben gerade wieder ein Revival. Anscheinend mit dem selben Veranstalter, der inzwischen schon mindestens Mitte bis Ende 60 sein müsste. Wem’s gefällt, der soll sich das gerne reinziehen, ich brauche keine “Reise in die Vergangenheit”.

The big ape

Trotz oder gerade wenn alles schwerer ist, sind aberwitzige Stories um so wichtiger:

In gefühlt einem anderen Leben, war ich Fremdsprachenkorrespondentin bei einem großen international tätigen Unternehmen. Ich hatte einen Kollegen, der eine Zeit lang mit mir im Zimmer saß und der oft zu unfreiwillig komischen Szenen neigte.

Es war an einem schönen Nachmittag Anfang eines Jahres, als er mit der französischen Niederlassung des Unternehmens telefonierte. Der Kollege am anderen Ende der Leitung hatte einen stark ausgeprägten Akzent und er redete auch sehr laut. Ich hörte bis zu meinem Arbeitsplatz, wie er immer wieder sagte “Delivery in week eight”. Zumindest wollte er das sagen, es hörte sich eher an wie “Deeellibbberyyy in wiiiiiig Äigggggd”. Mein Kollege im Büro verstand jedoch “Big Ape” und wiederholte es immer wieder in die Telefonmuschel fragend: “Big Ape?”, “Big Ape?” während der Franzose immer verzweifelter “Wiiiig Aiigggd” antwortete.

Ich hörte mir das Spektakel eine Weile an, bis ich vor Lachen fast von meinem Schreibtischstuhl flog. Irgendwann hatte ich Erbarmen mit dem Kollegen (dessen Lieblingsspruch sowieso “Heute holen sie mich noch” war und damit meinte er durchaus die Pfleger einer Irrenanstalt, die einen mit einer Jacke abholen, die man hinten zumacht) und erklärte ihm, dass die Franzosen keinen großen Affen geliefert haben wollen, sondern ihre Lieferung in Kalenderwoche Acht erhalten möchten.

Es ist noch immer eine der lustigsten Geschichten aus dieser Zeit. Immer wenn ich Gorillas sehe, oder Planet der Affen denke ich an den “fremdbesetzten” Kollegen, der den Franzosen einen großen Affen schicken wollte.

Immer 100 %

Eine ehemalige Freundin sagte mal zu mir “Du gibst für andere immer 100 %, das könnte ich nicht, das bewundere ich an Dir”.

Ich habe so meine Zweifel, ob das eine “Eigenschaft” ist, die Bewunderung verdient. Es ist eher ein “Zwang”, für Andere da zu sein, alles für sie zu geben. Egal ob es die Freundin ist, die gerade von einem Typen sitzen gelassen wurde, jemand im Umfeld, der chronisch krank ist, die Freundin, die oft und gerne jammert, der Kumpel, der keine Freundin findet, die Bekannte, die immer mies drauf ist, das nette Ehepaar, das gerade mit Knochenbrüchen und bakteriellen Infektionen geplagt ist, etc.

Ich fühle mich so oft für die Launen und Befindlichkeiten anderer verantwortlich und versuche dann, die “Stimmung” zu verbessern oder ihnen mit irgendwas eine Freude zu machen, aber nein, das ist verdammt noch mal nicht mein Job. Die wenigsten scheren sich darum, wie es mir geht und wenn, dann wird es oft sogar noch abgetan. “Deine Mutter war ja schon so alt”, oder “Ist ja schon 4 Monate her”, “Ist doch nur eine Katze und alt ist er auch”. Ich muss aufhören, immer für alle Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, die für mich nie einen Finger krumm machen würden.

Wer war denn in schweren Zeiten für mich da? Erst recht interessiert es kaum jemand, wie es meinem Kater geht. Im Gegenteil, es kommen Bemerkungen wie “Du steigerst Dich da rein”, “Irgendwann stirbt er halt”. Ja natürlich ist das so, aber deswegen kann man doch sagen: “Hey, wenn Du was brauchst, gibst bescheid, ich bin für Dich da”. Das kam von exakt einer Freundin.

Ich habe gerade kaum Kraft für mich. Ich bin noch immer angeschlagen vom Tod meiner Mutter und der Zeit davor, auch wenn ich das nach Aussen nicht zeige (weil sowieso kaum jemand Verständnis dafür hätte). Ich habe Momentan so oft Panikattacken, Herzrasen, rationale und irrationale Ängste.

Ich weiss, das ist alles erklärbar und ja, ich bin jetzt halt in einem Alter, wo mir das Auf und Ab der Hormone zu schaffen macht. Es gibt Schlimmeres und es gibt Menschen, die wirklich was richtig Schlimmes haben, wie eine unheilbare Krankheit. Krebs, einen Tumor. Das sind die wahren Helden, die Bewunderung verdienen. Nicht ich mit meinen “Kinkerlitzchen” mit denen jeder konfrontiert wird. Jeder der Haustiere hat, verliert sie irgendwann, weil sie nun mal leider eine geringe Lebensspanne haben. Jeder, der nicht selbst sehr jung stirbt, erlebt irgendwann den Tod seiner Eltern. Jede Frau erlebt irgendwann das Ende ihrer reproduzierfähigen Phase mit allem, was damit verbunden ist.

Das ist nichts Weltbewegendes und nichts worüber man jammern müsste. Es ist der Lauf des Lebens. Es ist wie es ist. Dennoch haben auch meine “Befindlichkeiten” ihre Berechtigung. Auch ich darf traurig sein, ausgelaugt sein, mich fürchten vor dem was kommt. Auch ich darf mal einfach nur für mich sorgen. Denn erst wenn ich wieder Kraft für mich habe, kann ich auch wieder für andere da sein. Es ist wie bei der Einweisung im Flugzeug: Setzt Eure Sauerstoffmasken zuerst auf, erst dann kümmert Euch um Andere.

Wenn mein Orpheus wieder stabiler ist, werde ich wieder die Kraft haben, mich um andere zu kümmern, für diejenigen da sein, die Hilfe brauchen. Mit manchen Situationen weiss ich nicht recht umzugehen. Die Freundin, die wirklich schwer erkrankt ist. Ich fühle mich unbeholfen und linkisch und hoffe nichts Blödes zu sagen oder zu schreiben. Versuche ihr witzige Anekdoten aus der Vergangenheit zu erzählen, weil ich nicht weiss, was ich sonst tun könnte. Vielleicht reicht es auch manchmal schon, dass sie weiss, dass ich an sie denke und ich denke sehr oft an sie. Nicht erst, seit ich von der Diagnose weiss, auch vorher schon. Sie war nie aus meinen Gedanken. Es gibt Menschen, die habe ich echt vergessen. Die sind so aus meiner Gedankenwelt, dass ich nur an sie denke, wenn sie irgendjemand erwähnt, aber dazu gehörte sie niemals. Wir hatten sehr schöne Zeiten zusammen. Sie ist ein Teil meiner Vergangenheit und sie war damals die Einzige, die mir geholfen hat, als ich den neuen Job anfing und sie meine Kollegin war. Das werde ich ihr niemals vergessen.

Ich weiss, nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Habe Angst aus Unbeholfenheit etwas “Falsches” zu sagen. Vermutlich ist das alles unbegründet und wenn man jemand lieb hat, kann man nicht wirklich etwas falsch machen.

Mal wieder eine “neue” alte abstruse Story

Es war einmal eine Walpurgisnachtfeier, auf der eine meiner Freundinnen und ich wirklich einen über den Durst getrunken hatten. Es war so eine Kneipennacht und wir waren schon an der vierten Station angelangt, als wir auf die glorreiche Idee kamen, den Weg zu den Toiletten zu versperren und “Wegezoll” zu verlangen. Erstaunlicherweise funktionierte es bei allen Männern richtig gut und alle zahlten, nur die Frauen verwünschten uns. Wir hatten allerdings schon einen Alkoholpegel erreicht, wo uns das gänzlich egal war. Wir hatten Spass. Vom Wegezoll bezahlten wir weitere Getränke und fingen an, auf den Tischen zu tanzen. Die Lokalität war kein Bierzelt und es war dort nicht üblich, dass jemand wie in “Coyote Ugly” auf der Theke oder den Tischen tanzte, aber auch das interessierte uns nicht. Irgendwann versammelten sich alle Anwesenden in dieser Gaststätte um uns herum und schauten uns beim tanzen zu. Leider kamen wir nicht auf die Idee, sie auch dafür zahlen zu lassen, sonst hätten wir an dem Abend sicherlich viel Geld mit nach hause gebracht. Wir strippten nicht oder sowas, wir behielten selbstverständlich unsere Klamotten an. Wir schwebten an diesem Abend einfach so durch das Leben. Sorgenfrei, furchtlos und lebenslustig. Wenn es Tage gibt, die ich gerne wieder erleben möchte, gehört dieser Abend definitiv dazu.

Echte Nähe

fühle ich selten zu anderen Menschen. Zu Tieren fühle ich eine tiefe Verbundenheit, jedoch selten zu meiner eigenen Spezies.

Es gibt nur wenige Personen, denen ich vertraue. So sehr vertraue, dass ich mich nicht zurückhalte, mich nicht verstelle, nicht Angst habe, meine Wahrheit auszusprechen.

Eine der Wenigen war meine 2015 verstorbene Freundin. Wir telefonierten fast täglich, verstanden uns oft wortlos. Wir zofften uns auch mal und sagten uns, wenn uns was störte und versöhnten uns wieder. Es war eine echte, ehrliche Freundschaft, wo jede von uns sein konnte, wie sie wollte, ohne Angst, dass unsere Schwächen ausgenutzt werden würden. Bei ihr hätte ich nie Angst gehabt, unangenehme Themen anzusprechen. Sie wäre auch nie wochenlang beleidigt gewesen, wenn ich etwas Unbequemes aussprach. Sie hätte niemals eine WhatsApp von mir nur nichtsagend und einsilbig beantwortet oder einfach ignoriert.

Vielleicht gibt es so eine Freundschaft selten, vielleicht aber war es so Besonders, weil wir beide einfach wir selbst waren. Unkaschiert, offen, frank und frei heraus. Ohne Rückhalt von Gefühlen aus Angst vor Ablehnung oder Verstoßung. Ihr hätte ich es gesagt, wenn sie sich für einen Typen zu arg verbogen hätte und alle seine Hobbys mitgemacht hätte, nur um ihm zu gefallen. Bei ihr hätte ich es ansprechen können, wenn sie monatelang / jahrelang über Lappalien gejammert hätte, ohne Furcht, dass sie mich dann ghostet. Zu ihr hätte ich sagen können, dass es mich nervt, dass Vorschläge für Unternehmungen zu 90 % von mir kommen und dass mir die Freundschaft zu oberflächlich ist und dass sich das ändern muss, weil mir Tiefgang wichtig ist.

Es gibt noch heute Situationen, wo ich denke “Darüber hätten wir jetzt Tränen gelacht”, die ich aber niemand anderem erzähle, weil ich glaube, dass nur sie es verstanden hätte. Vielleicht sollte ich mich hier mehr Anderen gegenüber öffnen, vermutlich finden sie die absurden Geschichten genauso lustig und lachen mit mir darüber. Vielleicht kann ich auch allen von meinen Ängsten erzählen und wie ich mich wirklich fühle und nicht nur immer “es geht mir gut” sagen, um niemand zur Last zu fallen.

Die Wahrheit ist, dass ich mich oft einsam fühle, gerade in Gesellschaft. Dass ich Angst habe, ich selbst zu sein, weil ich fürchte, dann nicht geliebt zu werden, ausgegrenzt zu werden, nicht verstanden zu werden. Ich habe oft Panikattacken und habe schon Einladungen zu Parties abgesagt, weil ich simpel Angst davor hatte. Ich habe vor sehr alltäglichen Dingen Angst und weiss rational natürlich, dass es doof ist, kann das Gefühl aber nicht steuern. Mein Cortisol-Level steigt in solchen Situationen massiv an und ich bestehe nur noch aus purer Furcht.

Die Vergangenheit hat mich “gelehrt”, dass ich früheren Freunden “zuviel “war und ich wirklich wortwörtlich Ozeane für Menschen überquert habe, die für mich nichtmal über eine Pfütze springen würden. Das heisst aber nicht, dass es wieder so sein muss, und selbst wenn, dann würde nur eine natürliche Auslese stattfinden.

Vermutlich ist genau das der “Fehler”, dass ich mich klein mache und zurück nehme, weil ich fürchte, dass ich wieder abgelehnt werde. Es kann wieder sein, dass ich als Verrückte abgestempelt und abgelehnt werde, dass ich als Pflanzenterroristin bezeichnet werde, dass ich geghostet werde, weil ich etwas total Harmloses anspreche, was anderen nicht passt und die dann so unversöhnlich beleidigt sind und ich blockiert werde. Es kann wieder vorkommen, dass sich Menschen, aus welchen Gründen auch immer, wieder von mir abwenden. Das Risiko muss ich eingehen, weil ich nur Tiefe erhalte, wenn ich selbst Tiefe gebe und nur Echtes zurück bekomme, wenn ich mich selbst nicht verstelle. Wenn ich furchtlos ich selbst bin, können auch die anderen furchtlos sie selbst sein.

Dann ist es möglich, dass ich sage “Hey, Du bist so eine tolle, schöne, starke Frau, warum machst Du immer das, was Dein Freund will, auch wenn Du gar keine Freude daran hast? Du musst Dich nicht den Hobbys Deiner Partner anpassen. Wenn Dich einer deshalb nicht mag, passt es so oder so nicht”, oder “Ich hab Dich wirklich lieb, aber ich ertrage Deine Jammerei echt gerade nicht. Ich wünschte, Du hättest mehr Lebensfreude und würdest Dich auf das Schöne in Deinem Leben konzentrieren und nicht immer nur auf das, was nicht gut läuft. Ich kann das verstehen, ich hing auch jahrelang in so einer Schleife fest und kann Dir sagen, dass sich dadurch nichts bessert”. “Ich wünschte Du hättest nicht diese irrationalen, beinahe paranoiden Ängste vor eigentlich Allem. Auch das kann ich gut nachvollziehen, weil ich sie selbst ebenfalls manchmal habe. Ich versichere Dir aber, dass kein SEK bei uns vor der Tür stehen wird, weil wir vor 12 Jahren mal pheripher eine kannten, die in ein seltsames Milieu abgedriftet ist und jetzt in einer Kommune lebt, die von Schwurblern bevölkert wird. Es ist nur dem auf und ab der Hormone geschuldet. Es ist nur eine Phase Hase und auch dies wird vorüber gehen!”  oder “Es gibt einen Unterschied zwischen Schnäppchenjagd aus Spass und dem Zwang immer und überall etwas abzustauben und ich fürchte, der schmale Grad ist überschritten. Ich habe das Gefühl, dass Du zu viel Schrott kaufst um damit eine Leere in Dir zu füllen. Auch das kenne ich zu gut, weiss aber auch hier aus Erfahrung, dass das nicht funktioniert. Sag mir bitte, was Dir wirklich fehlt und wie ich Dir helfen kann” und “Ich mag Dich viel mehr, wenn Du nicht immer so tust, als wärst Du die Tollste, Beste und hättest alle Weisheit mit Löffeln gefressen und würdest immer die Welt retten, denn ich weiss, dass Du das nicht bist. Das musst Du auch nicht sein. Du darfst schwach sein, Ängste haben, mal versagen oder falsch liegen. Denn Du bist auch nur ein Mensch und ich mag Dich aufgrund Deiner Imperfektion nicht aufgrund des Scheins, denn Du aufrechterhalten willst, obwohl es offensichtlich ist,  dass es nur Blendwerk ist”.

Dann könnte ich auch offen sagen, dass ich noch immer einfach so weine, weil ich meine Eltern vermisse und dass ich große Angst habe, Orpheus zu verlieren. Dann müsste ich nicht so tun, als wäre alles gut und ich könnte sagen, dass ich noch nicht wieder “heil” bin. Dass ich paranoide Ängste habe und Fehler mache. Dass ich einen fiesen Zerrspiegel in meinem Kopf habe, der mir zuflüstert, ich wäre fett und hässlich. Dass ich Menschen beurteile, obwohl ich nicht in ihren Schuhen laufe, dass ich mir anmaße zu wissen was ihnen guttun würde, obwohl ich nicht in ihr Inneres sehe. Das ich einfach nur ein Mensch mit Fehlern und Schwächen bin.