Sind es die “Anderen” oder wir?

Diese Frage stellte mir eine Freundin. Sie meinte damit, ob die “Anderen” immer seltsamer, schräger, skurriler werden oder ob wir immer seltsamer, schräger, skurriler werden. Ich bin mir auch unsicher. Wir alle haben uns verändert. Die vergangenen Jahre, haben etwas mit der Menschheit gemacht, keine Frage.

Da ist die eine Freundin, die ich echt gern habe. Doch seit einiger Zeit und ich rede hier nicht von einer kurzzeitigen Phase, sondern eigentlich seit Jahren, jammert sie viel. Das Wetter ist zu heiss oder zu regnerisch. Sie lamentiert über Alltagssituationen. Sie hat sich in den Finger geschnitten, sie hat Kopfschmerzen, sie hat etwas verloren, sie musste lange beim Arzt warten, sie muss zum Zahnarzt, sie hat einen Parkschein verlegt, sie muss auf ein Taxi warten, obwohl sie schon lange nach Hause will, ein Zug fiel aus und sie verpasste den Anschlusszug. Wir alle haben uns mal in den Finger geschnitten, Kopfschmerzen, Kreuzschmerzen, klamme Knöchel, was verloren und sitzen regelmässig rum und warten auf etwas.

Als ich vor 2 Jahren den Bandscheibenvorfall hatte, war ich mal zwischen den Jahren bei einem Vertretungsarzt um ein Rezept für ein MRT zu bekommen und hatte solche Schmerzen, dass ich weder stehen noch sitzen konnte. Ich weiss noch gut, wie mich mein Mann abholte und ich vor der Praxis in der Kälte auf dem Boden lag, weil ich es sonst nicht mehr ausgehalten hätte. Darüber könnte ich noch Jahre jammern, auch davon traumatisiert sein, aber es ist sowas von Schnee von gestern. Ich trainiere seither regelmässig, weil ich so etwas nie wieder erleben möchte. Auch meiner Mutter mehrere Monate beim Sterbeprozess zuzusehen und ganz speziell die letzten drei Wochen war wahrlich nichts, was angenehm war. Das hängt mir noch immer nach, ist ja auch erst zwei Monate her, aber es nützt auch niemandem, wenn ich darüber ständig reden würde. Es ist wie es ist.

Manchmal wünschte ich, ich könnte der Freundin helfen. Es ist offensichtlich, dass sie nur jammert, weil sie nicht viel Schönes sieht, oder sieht sie nicht viel Schönes, weil sie in ihrem Jammertal festhängt? Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Sie ist ein liebenswerter Mensch und ich habe sie wirklich gern. Ich wünschte nur, sie könnte etwas mehr Lebensfreude empfinden. Ja, sie hat in den letzten Jahren viel Dramatisches erlebt, aber das haben andere auch. Durch das Jammern ändert sich ja nichts daran. Ich denke in solchen Momenten oft an meinen Oprheus. Er leidet seit mindestens 6 Jahren an einer chronischen Darmerkrankung. Wir waren bei so vielen Ärzten und Heilpraktikern und und und – keiner konnte helfen, nur etwas lindern. Er ist so tapfer. Er lebt im hier und jetzt und hat jeden Tierarztbesuch sofort vergessen, sowie er aus der Transportbox steigt. Er nölt nicht noch stundenlang, wie grausig die Fahrt, wie unangenehm es in der Praxis war und wie grob ihn die Sprechstundenhilfe angefasst hat. Er steigt aus, schüttelt sich, geht zum Napf und isst und fängt danach an zu schnurren. Er grübelt nicht noch ewig über Vergangenes oder Zukünftiges. Er macht sich keinen Kopf über sein Aussehen (er sieht eh immer genial aus!). Er zählt keine Kalorien (muss er leider auch nicht, weil er durch die Krankheit eh zu dünn ist) und hat keine Angst vorm Altern. Darüber machen sich nur Menschen Gedanken. Egal wie alt und teilweise dement er geworden ist, er wird immer mein geliebter Schatz sein und das weiss er auch. Er ist einfach nur unfassbar wundervoll!

Ich wünschte, die Freundin (und ich selbst auch) und eigentlich die gesamte Menschheit könnte mehr so sein, wie mein Orpheus. Wir sollten uns viel öfter nach unangenehmen Situationen einfach schütteln, was gutes Essen und uns dann wohlig des Lebens freuen.

Ich sagte der Freundin schon vor einiger Zeit, dass ich im Moment selbst keine Kraft habe. Ich kann ihr Genöle einfach nicht immer wieder anhören. Das mag egoistisch sein, aber es bringt doch nichts. Weder ihr noch mir. Ich brauche so dringend wieder etwas Leichtigkeit und Sorglosigkeit in meinem Leben. Ich bin nicht der Jammerlappenkummerkasten. Ich will diesen Job nicht haben, so wie ich viele andere Jobs nicht möchte. Ich will sie aber auch nicht verletzen, will ja für sie da sein, aber ich weiss nicht wie. In dem ich mir das Gejammer über ihre Alltagssituationen anhöre, wird ja nichts anders und schon gar nicht besser. Ihr zu sagen, dass sie viel jammert habe ich subtil versucht, aber ich glaube, sie hat es nicht verstanden. Ich weiss aber auch nicht, wie ich es direkt sagen könnte. Kann man so etwas direkt sagen? Ich bring das nicht!

Ich würde mir so sehr für sie wünschen, dass auch sie wieder mehr Leichtigkeit und Lebensfreude empfindet. Ich wünsche ihr alles Glück der Welt. Wenn ich den Eurojackpot gewinnen würde, würde ich mit dem Geld (und da würde ja ein Bruchteil der 120 Millionen reichen) dafür sorgen, ihre Probleme zu lösen. Geld löst Vieles. Ich schätze ihr Hauptproblem charakterlich so ein, dass mit ein paar Hunderttausend Euro das Dilemma gelöst wäre und sich dieses “Problem” für immer aus ihrem Leben fern halten würde und sie hätte dann auch finanzielle Freiheit und sozusagen “ausgesorgt”. Wäre sie dann glücklich? Liegt es überhaupt in meiner Macht (oder irgendjemandem’s Macht) Andere glücklich zu machen? Selbst wenn ich alle Widrigkeiten entfernen könnte, würde sie dann aufhören zu jammern oder ist es etwas, das tief in ihr verankert ist, dass heilen müsste, bevor sie mit der Jammerei aufhören könnte? Da ich leider nicht den Jackpot gewonnen habe, werde ich es vermutlich nie erfahren, fürchte aber, das Letzteres der Fall ist. Selbst wenn alle wirklichen Hindernisse aus dem Weg geräumt wären, ist man immer noch man selbst und nimmt sich überall hin mit. Man kann nicht vor sich selbst davonlaufen, egal wohin man geht.

Lasst uns alle Zusammen Jammerfasten! Die Welt ist ohnehin am Arsch. Darüber zu jammern, rum lamentieren, ewig darüber zu stöhnen und seinen Unmut bekunden über Unabänderliches, Unvermeidbares, Vergangenes, Ungeschehen ist nicht nur sinnlos, sondern es vergrößert das Leid nur unnötig.

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