Nicht so ganz woke

Über mich kann man vieles sagen. Es gab mal eine ehemalige Kollegin, die mich eine schnippische Hexe nannte. Das stimme damals mit Sicherheit, doch bin ich das heute nicht mehr, aber ich bin glaub auch meilenweit entfernt davon, wirklich woke zu sein.

Ich bin eine privilegierte weiße cis-Frau. Ich gehöre keiner diskriminierten Minderheit an. Ich bin der Meinung, dass jeder gendern kann oder eben auch nicht. Sicher ist es dem einen oder anderen schon aufgefallen, dass ich auf meinem Block nicht gendere. Ich finde das vom Sprachfluss her einfach nicht so fließend. Das ist schon alles. Ich störe mich aber nicht wirklich dran, wenn Andere gendern. Das soll jeder halten, wie es beliebt.

Ich bin generell der Meinung, dass jeder so leben soll, wie es denjenigen glücklich macht, solange dabei niemand zu Schaden kommt. Womit ich nicht so fein bin, ist die Überkorrektheit, die immer mehr zu nimmt. Man darf anscheinend nicht mehr Obdachloser sagen, sondern Wohnungssuchender. Was ist schlimm an dem Begriff obdachlos? Die Situation ist für die Menschen verbesserungswürdig, nicht die Begrifflichkeit. Wahrscheinlich ist arbeitslos auch verpönt und wird durch arbeitssuchend ersetzt. Marienkäfer dürfen nicht mehr Marienkäfer genannt werden, sondern nur noch Sonnenkäfer. Heisst es dann jetzt auch “Schneewittchen und die 7 Schrumpfriesen”? Die Bezeichnung Riesen ist bestimmt auch inkorrekt. Was sagt man dann? Ich hab keine Ahnung. Wird Rotkäppchen zur “Heranwachsenden, die eine rote Kappe trägt”? Darf Dornröschen noch erzählt werden, obwohl der Prinz kein Einverständnis von ihr hatte, sie zu küssen? By the way, sie ist auch noch 84 Jahre älter als der Prinz. Beim gestiefelten Kater könnte man Menschen auf die Idee bringen, ihren Katern Stiefel anzuziehen…! Ich habe gelesen, dass das Wort Anreiz angeblich ein Euphemismus für Zwang wäre???!!! Genau das meine ich mit dieser Überempfindlichkeit, die mir auf den Zeiger geht.

Ich sah kürzlich einen Film – ich weiss den Titel nicht mehr, aber die Handlung war ungefähr so: Eine 17 Jährige Cheerleaderin stürzt bei einer Performance und liegt 20 Jahre im Koma. Sie erwacht als 37 Jährige und eckt überall an, weil nichts mehr so ist, wie damals. Für das Mädchen (das sie ja im Geiste noch ist) hat sich nichts verändert, die Welt jedoch ist eine gänzlich andere. Sie tappt von einem Fettnäpfchen ins Nächste.

So ähnlich fühle ich mich manchmal auch. Versteht mich nicht falsch. Es geht hier nicht darum, dass ich nicht dafür bin, sensibel gegenüber Minderheiten zu sein. Ich finde nur, dass es allmählich in die falsche Richtung geht. Wie ich in meinem Blogartikel zur kulturellen Aneignung schon geschrieben habe, denke ich nicht, dass so eine Überspitzung der Sache dienlich ist. Es ist ein bissle so, wie im Bekanntenkreis. Da gibt es die Überempfindlichen, die jedes Wort auf die Goldwaage legen. Bei denen fühle ich mich nicht wirklich wohl. So ähnlich ist es im “Großen”. Wenn man immer aufpassen muss, was man sagt, weil man sonst gecancelt wird und man jedes Wort hinterfragen muss, dann verliert man dabei viel Humor, Ironie und Sarkasmus.

Ich habe mal eine Diskussionsrunde gesehen, wo Menschen mit Migrationshintergrund sich massiv daran gestört haben, wenn sie von jemand gefragt wurden, woher sie kommen. Ich kann das schon nachvollziehen, wenn sie zum Beispiel sagen “Ich komme aus Frankfurt / Berlin / Hintertupfingen / etc” und die Fragenden haken dann nochmal nach “Ja, aber wo kommst Du ursprünglich her?”. Das ist doof, weil die Menschen meistens in Deutschland geboren wurden. An sich jedoch, finde ich die Frage “Wo kommst Du her” nicht anstößig. In meiner Heimat Hohenlohe-Franken ist es normal, jeden zu fragen “Wo kumschn Du her?”. Manchmal sogar “Wemm kärschn Du?”, was soviel bedeutet wie “Wer sind Deine Eltern”. Das hat nichts Rassistisches oder Diskriminierendes an sich, sondern ist einfach ein Zeichen von ehrlichem Interesse.

Ich weiss nicht, wie es ist, einer diskriminierten Minderheit anzugehören und vielleicht habe ich deshalb kein Recht dazu, etwas zu diesem Thema zu schreiben. Es ist natürlich etwas anderes, wenn man als Veganerin als “Körnerfresser” oder “Tofutusse” bezeichnet wird, als wenn man z.B. als People of Color diskriminiert wird. Das ist nicht vergleichbar. Schon klar. Das will ich auch gar nicht. Ich denke jedoch, dass die politische Korrektheit einen Punkt überschritten hat. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu alt für den Scheiss. Ich bin zu jung für einen Boomer und viel zu alt für eine Millenial – ich bin irgendwo lost dazwischen und deshalb vermutlich manchmal cringe. Ich gehöre zur Generation X. Immerhin schreibt man uns einen hohen Bildungsgrad zu, jedoch auch ein hohes Sicherheitsbedürfnis und starke Markentreue und Affinität zu Statussymbolen. Das mit den Statussymbolen trifft auf mich echt nicht zu. Wir wurden damals auch als “Null-Bock-Generation” oder “Turnschuhgeneration” bezeichnet. Wir hatten Null Bock auf das Leben, der “geburtenstarken Jahrgänge (Baby Boomer)”, der Nachkriegsgeneration vor uns und wir waren die erste Generation, die am liebsten Sneaker trug.

Ich stamme aus einer Zeit, wo man als Kind schon ab und an am Wein oder Bier nippen durfte, ohne dass das Jugendamt vor der Tür stand. Das erklärt vermutlich Einiges. Trotzdem bin ich froh, in dieser Zeit großgeworden zu sein. Wir konnten damals ohne die Überwachung der Erwachsenen spielen, bis es dunkel wurde. Das hat keine Sau gejuckt. Niemand hat uns zur Schule gebracht und abgeholt. Das ist heutzutage aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich. Gab es damals weniger Psychopaten? Ich weiss es nicht. Wir bekamen “Es geschah am helllichten Tag” vorgeführt und uns wurde massiv eingetrichtert, keinesfalls mit Fremden mit zu gehen. Ich wurde zweimal von zwielichtigen Typen angesprochen, daran kann ich mich noch erinnern. Einer wollte mich in sein Auto locken, als ich ungefähr 8 war und er war richtig wütend und fuhr davon, als ich mich strikt weigerte, obwohl er mir einreden wollte, meine Eltern hätten ihn geschickt um mich abzuholen. Der nächste Zwischenfall war viele Jahre später, als ich schon 16 war. Ich wurde von einem Mann angesprochen, ob er Bilder von mir machen könne. er versprach mir eine Modelkarriere. Ich sagte, dass ich darauf keinen Bock hätte und er trollte sich, Beschimpfungen vor sich hin murmelnd.

Ich will nicht sagen, dass früher alles besser war. Beim Einhorn nicht. Natürlich musste die Sensibilisierung gegen Rassismus und Sexismus voranschreiten. Als ich nach dem Wirtschaftsgymnasium eine Ausbildung anfing, nannte mich der damalige Arbeitgeber tatsächlich “Fräulein”. In manchen Gegenden Deutschlands, waren Ende der 80er Jahre noch gefühlt die 60er am Start. Wie in “How I met your mother”, als Robin Scherbatsky in Kanada in den 90ern ein 80er Teenystar war. Vieles war früher im Argen, aber heute leider auch! Ich hatte die Hoffnung, dass das 21. Jahrhundert geprägt ist von Freiheit, Gleichheit und Einigkeit, aber gefühlt ist das Gegenteil der Fall. In vielen Ländern ist ein deutlicher Rechtsruck zu spüren. Die Gendergap besteht noch immer. Ich will nicht sagen, dass das der Überkorrektheit zuzuschreiben ist. Helfen tut es aber auch nicht so wirklich.

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