Braune Balken

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Dieses Bild ist 5 Jahre alt. Ich hatte mich damals von einer Stylistin für eine Hochzeit im Familienkreis schminken lassen. Eine Bekannte sagte damals “Endlich hast Du mal Augenbrauen”. Ähm… nö, ich hatte keine Augenbrauen, sondern braune Puderbalken! Ich fühlte mich nicht sehr wohl damit. Ich finde auch heute noch, dass es mir nicht steht.

Irgendwie ist es gerade der Zeitgeist, dass man beinahe seltsam ausschaut, wenn man keine gelifteten Wimpern, laminierten Augenbrauen und aufgespritzten Lippen hat. Social Media hat daran einen potentiellen Anteil. Kaum ein Account ohne Filter und Bearbeitung.

Eine weitläufige Bekannte hat auf Bildern immer so viele Filter drüber, dass sie 20 Jahre jünger und 10 kg schlanker ausschaut als in Natura. Jemand, der sie nur von ihrem Insta-Kanal kennt, würde sie im realen Leben nicht erkennen. Sehr schade, denn sie ist auch im Real Life eine attraktive Frau.

All diese virtuellen Perfektionierungsversuche führen dazu, dass sich immer mehr – auch sehr junge Frauen – unters Messer legen, um auch in der Realität diesem Ideal zu entsprechen. Was zu dem Effekt führt, dass es immer weniger Individualität gibt und die Frauen wie Klone wirken läßt.

Ich kann es verstehen. In dysmorphophoben Phasen finde ich mich so hässlich und fett, dass ich am liebsten nicht aus dem Haus gehen würde. Wenn diese Phasen vorüber sind, kann ich das gar nicht mehr nachvollziehen. Auch wenn ich die Entwicklung hin zu chirurgischen “Optimierungen” manchmal nachvollziehen kann, finde ich die “Ergebnisse” in den wenigsten Fällen gut. Zu künstlich, zu unecht, zu unnatürlich. Vielleicht nur die logische Konsequenz zu all den Fake Profilen und Fake News.

Gestern war ich mit Freunden Essen und wir redeten darüber, was wir tun würden, wenn wir eine Zeitmaschine hätten. Aus sehr unterschiedlichen Gründen wollten wir alle zurück in verschiedene Jahrzehnte. Ein Kumpel wollte zurück in die 80er Jahre, weil er sich damals sicherer gefühlt hat, Klar, auch damals gab es Gefahren und Unschönes (den Kalten Krieg, Chernobyl, die Neue Deutsche Welle, Modern Talking), aber damals war eine Pandemie ein abstraktes, unwahrscheinliches Ereignis. Eine Freundin wollte zurück in die 90 er, weil auch sie damals anscheinend unbeschwerter und sorgloser war. Ich selbst wollte zurück zu Mitte der Y2K. Auch ich war damals scheinbar sorgloser, unbeschwerter und in meiner Erinnerung glücklicher.

Was wir alle brauchen ist wieder mehr Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Das Leben ist nicht so dramatisch, wie wir denken. Früher folgten auf Pandemien oft ausgelassene Phasen. Wann folgen die ausschweifenden Exzesse auf die vergangenen drei Jahre? Ist das nicht angebracht mit Blick auf die Klimakrise, den Krieg in der Ukraine und einer allgemeinen Aufrüstung? Gerade jetzt wäre meiner Meinung nach, mehr Lebensfreude für die mentale Gesundheit des kollektiven Bewusstseins wichtig.

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