Vor vier Wochen war ich mit meiner BF auf einer Karnevalsveranstaltung. Es war dort exorbitant voll. Man merkte, dass die Menschen Nachholbedarf hatten, nach drei Jahren Pandemie.
Es begleiteten uns noch zwei Bekannte meiner Freundin und einer davon erwähnte beiläufig, dass er morgens eine Debatte über kulturelle Aneignung im Radio gehört hätte. Es ging darum, dass sich Kinder nicht mehr als Indianer verkleiden sollten, weil dies kulturelle Aneignung wäre.
Wir waren schon mittelschwer angeschickert und sahen kurz darauf einen als Indianer verkleideten Mann und beschlossen, ein Trinkspiel daraus zu machen. Immer wenn wir Kostüme mit “kultureller Aneignung” sahen, tranken wir einen großen Schluck aus unseren Gläsern. Wir weiteten das Spiel auf Partygäste mit Sombreros aus sowie auf Kostüme mit Rastas und zum Schluss tranken wir auch, wenn wir Wikinger oder Ägypter (Pharaonen) sahen. Jedesmal wenn wir tranken, riefen wir vorher “Kulturelle Aneignung”. Es war selbstverständlich ein nicht ernst gemeintes Trinkspiel und es war schon jede Menge Alkohol geflossen, bevor wir auf die “grandiose Idee” kamen.
Doch was ist kulturelle Aneignung wirklich? Der fast gleichaltrige Nachbarsjunge von früher und ich verkleideten uns nicht nur zu Fasching oft als Indianer, sondern auch unterjährig, weil wir von den amerikanischen Ureinwohnern fasziniert waren. Keines der Kinder wollte bei uns je einen Cowboy spielen, sondern immer nur , die unserer Ansicht nach edlen Indianer. Wir hatten schwarze Langhaarperücken und braune Kleidung mit Ornamenten bestickt und liebten diese Kostüme sehr. Wenn das kulturelle Aneignung war, dann bin ich froh, dass wir das gemacht haben, den es war ein sehr schöner Teil unserer Kindheit. Ich war auch mal als Inderin verkleidet. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon ein Teenager und hatte mir den Sari selbst genäht und fand es toll. Es kam auch sehr gut an. Ist es nicht gerade der beste Teil an Karneval / Fasching, in andere Rollen schlüpfen zu können und sich als jemand anderes zu verkleiden? Dieses Jahr war ich als Reh verkleidet, ist das dann kulturelle Aneignung der Lebensweise der Waldtiere? Wie weit darf Zensur gehen? Sind die indigenen Völker wirklich diskriminiert und herabgewürdigt wenn sich Kinder (oder auch Erwachsene) hierzulande als Indianer verkleiden? Ist es wirklich eine “Abwertung”? Ich habe das nie so gesehen, sondern fand es eher als eine Art Hommage. Man verkleidet sich doch selten als etwas, was man nicht gut findet. Das gibt es in wenigen Fällen auch. Ich habe schon welche gesehen, die waren als Vogelscheuchen verkleidet, das ist aber die ganz seltene Ausnahme. Meistens sind speziell Frauen als was “Schönes” verkleidet. Als Fee, Prinzessin, Katze, Fuchs, Hase, Reh, Arielle, Elsa, Wednesday, Rotkäppchen oder eben als Indianerin, Mexikanerin, Inderin, Cleopatra. Ich habe welche gesehen, die hatten einfach ein Dirndl an. Das ist auch “kulturelle Bayrische Aneignung” wenn man es ganz genau nimmt. Darf dann auch niemand mehr Kuckucksuhren haben ausser den Leuten im Schwarzwald? Was ist mit den nicht afrikanisch stämmigen Menschen die Dreadlocks tragen,”dürfen” die das dann auch nicht mehr? Wo fängt man an, wo hört man auf? Ist es wirklich Rassismus, wenn sich jemand als Squaw verkleidet? Ist nicht die Intention das Ausschlaggebende?
Früher im Urlaub wurde einem von PoC Frauen häufig angeboten, ob man sich bei ihnen die Haare flechten lassen will. Ich weiss nicht, ob es das heute noch gibt, aber 2008 auf Teneriffa war das so. Wenn man als Frau mit langen Haaren am Strand war, wurde man von Frauen angesprochen, ob man sich gegen Bezahlung Zöpfe flechten lassen wolle. Ich wollte das nie, weil ich schon immer der Meinung war, dass das bei weissen Frauen echt in den allerwenigsten Fällen gut ausschaut. Ich bin mir aber sicher, dass weder die Frauen, die die Flechtereien anboten, noch die Frauen, die sich die Haare flechten ließen auch nur ansatzweise Gedanken um kulturelle Aneignung gemacht haben. Die Fechterinnen waren meist sehr enttäuscht und oft auch sauer, wenn man sich keine Zöpfe flechten lassen wollte. Es war ein Business, von dem sie lebten, genauso wie die Sonnenbrillenverkäufer.
Mit all dieser “political correctness” und Anprangerung als “kulturelle Aneignung” bis hin zu “cancel culture” kann ich nicht so viel anfangen. Wir haben demEinhornseiDank noch freie Meinungsäußerung. Wie fade wäre die Welt, wenn sich niemand mehr etwas gerade heraus sagen trauen würde, aus Furcht davor zensiert, geächtet und dadurch benachteiligt zu werden?
Mich würde interessieren, wie die angeblich Betroffenen darüber denken. Was denkt eine People of Color über Rastas, Dreadlocks, Cornrows bei Weissen? Was denken amerikanische Ureinwohner über Karnevalskostüme, die sich von ihren historischen Trachten ableiten?
Ist kulturelle Aneignung nur schlimm und wert geächtet zu werden, wenn es um Gruppen geht, die unter Unterdrückung und Diskriminierung litten und leiden, während es akzeptabel ist, zum Beispiel as Wikinger auf den Fasching zu gehen, weil die Skandinavier zu keiner unterdrückten Volksgruppe gehören, genauso wenig wie die Bayern, weshalb es ok ist, überall auf der Welt in Dirndl und Sepplhose herumzulaufen, ohne dafür den Stempel der “kulturellen Aneignung” verpasst zu bekommen?
Es ist sicher gut, darüber nachzudenken, aber ich persönlich (freie Meinungsäußerung) denke, man kann auch alles übertreiben. Übertreibungen schaden oft mehr, als sie der Sache dienlich wären.
Ich nehme dazu ein Beispiel aus einem gänzlich anderen Umfeld:
Vor einigen Jahren nahm ich an einer Art offenen Stammtisch teil zum Thema Veganismus. Es gab dort leckeres, natürlich rein pflanzliches Essen und es sollte dazu dienen, dass Omnis (also Allesesser) sich informieren könnten über Massentierhaltung, Ausbeutung von Tieren, Speziesismus, Carnismus. Man wollte Aufklären und nebenbei das Essen schmackhaft machen. Es funktionierte auch recht gut und viele Interessierte kamen und es gab angeregte nette Gespräche. Doch dann wurde ein Gruppenmitglied plötzlich Straight Edge und immer militanter. Die Person vergraulte mit ihrer No Sugar, No Alcohol, No Nikotin Kampagne nicht nur einige der anderen Mitglieder, sondern natürlich auch die Interessenten. Letztendlich wurde der Stammtisch aufgelöst. Die radikale Person warf einen Schatten auf die gesamte Organisation und bewirkte nichts Gutes. Schon gar nicht für die, um die es uns geht: Die Tiere, deren Stimme wir sein wollten um ihnen zu helfen, dass Jahrtausende Speziesismus endlich enden.