Keine Zeit heißt übersetzt kein Interesse

Ich kenne wirklich Menschen, die sind selbst in Zeiten von Corona auf Monate hin “ausgebucht”. Sie sind ja so beschäftigt und haben für nichts Zeit. Oh ich kenne das. Ich habe das selbst auch schon gemacht. Ich hatte früher eine Freundin, mit der ich mich immer weniger verstand. Ich mag sie noch immer, es ist nicht so, dass ich sie nicht leiden könnte. Wir hatten uns einfach irgendwann “in unterschiedliche Richtungen entwickelt”. Wenn ich mich mit ihr traf, war es für mich anstrengend, gezwungen und nicht mehr leicht und unbefangen. Ich wollte mich zwar nicht mehr mit ihr treffen, sie aber auch nicht vor den Kopf stoßen. Deswegen sagte ich immer, wenn sie um ein Treffen bat, dass ich keine Zeit hätte und ja so unendlich beschäftigt wäre und frühestens in zwei, besser drei Monaten vielleicht, aber auch wirklich nur vielleicht Zeit hätte. Es war gelogen. Natürlich hätte ich mir die Zeit genommen, wenn ich mich mit ihr hätte treffen wollen. Wollte ich aber eben nicht. Wäre es ehrlicher gewesen, wenn ich ihr gesagt hätte “Du, ich glaub wir brauchen etwas Abstand, vielleicht verstehen wir uns in ein paar Jahren wieder besser, aber jetzt gerade haben wir nicht so viel gemeinsam”. Das kann man doch nicht sagen. Also ich möchte sowas nicht hören. Dann lieber “keine Zeit, total ausgebucht, bin soooo extrem beschäftigt”. Oder doch nicht? Ich weiss es nicht und bin unschlüssig. Eigentlich weiss auch bei der zweiten Variante jeder, was es übersetzt heißt: Du bist mir nicht so wichtig, dass ich mir die Zeit für Dich nehme.

Vielleicht sind wir zu oberflächlich geworden und geben auch Kontakte zu Bekannten zu schnell auf. Die Ex und Weg Mentalität greift überall um sich. Wahrscheinlich sind wir als Menschen inzwischen so verroht und abgestumpft, dass wir Mitmenschen wie materielle Dinge behandeln. Wenn sie nicht mehr das machen, was wir von ihnen erwarten, werfen wir sie weg. Habe ich die frühere Freundin weggeworfen? Irgendwie schon. Ich fühlte mich nach treffen mit ihr nicht mehr wohl. Hatte das Gefühl, dass ich jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. Es war, als würden wir verschiedene Sprachen sprechen. Das was sie sagte, kam bei mir falsch an und umgedreht. Es passte einfach nicht mehr. Obwohl ich sie natürlich noch gern hatte und habe, hatte ich keinen Bock mehr, auf ein Treffen mit ihr. Sie sprach oft und gerne von sich. Vielleicht hätte ich ihr einfach zuhören sollen, anstatt mich darüber aufzuregen. Aber offen gesagt, denke ich selten an sie und vermisse sie nicht wirklich. Vermutlich war unsere gemeinsame Zeit vorerst beendet. Vielleicht ändert sich das irgendwann wieder, vielleicht auch nicht. Bevor sich hier womöglich jemand aus meinem privaten Umfeld angesprochen fühlt. Ich habe hier als Beispiel verschiedene Personen zu einer zusammen gefügt. Es gab nicht die eine frühere Freundin, sondern sie ist eine fiktive Gestalt aus mehreren früheren Bekannten.

Wenn wir unsere Lebenszeit mit einer Zugfahrt vergleichen, gibt es Mitfahrer, die beinahe die gesamte Fahrtzeit mitfahren, andere steigen irgendwann zu und auch manchmal wieder aus. Einige wenige steigen an einer anderen Haltestelle wieder zu, andere nehmen eine gänzlich andere Linie. Ein paar sieht man manchmal durch die Scheibe an einem Bahnsteig stehen und winkt ihnen zu und andere sieht man ebenfalls durch das Fenster in einem anderen Zug sitzen, der in die entgegengesetzte Richtung fährt. Manche bleiben zwar im selben Zug, bleiben aber nicht immer im selben Abteil. Einige sind nur kurz im Schlafabteil oder im Speisewagon und kehren zurück, andere kehren nicht zurück und setzen sich in andere Abteile. In seltenen Fällen wird eines dieser Abteile abgehängt und bleibt zurück. Einige ganz wenige bleiben bis zur Endstation im selben Abteil.

Manchmal lohnt es sich, um eine Bekanntschaft zu kämpfen und Unausgesprochenes zu klären, aber es gibt auch Fälle, wo es einfach nicht sein soll und die Personen uns nur ein Stück des Weges begleiten sollten. Dann ist es besser, wir steigen aus dem Abteil oder auch aus dem Zug der Person aus. Wir können wieder zusteigen, wenn es passt, oder eben in andere Züge einsteigen, die mehr zu uns passen und uns an geeignetere Ziele bringen.

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